Expeditionstagebuch Pik Lenin
16.7.-29.8.1997

Teil 3


6.8.97 Zwiebelwiese ­ Lager 1a

Wir machen unsere Rucksäcke für den endgültigen Aufstieg fertig. Die restlichen Sachen kommen in den großen Ortlieb-Sack und in die kleinen Rucksäcke. Ich organisiere einen LKW, der für den DAV-Summit-Club Leute und Gepäck zur Zwiebelwiese transportiert hatte. Wir fahren mit Gerold, dem Niederländer und seinem Begleiter ins Zeltlager der Italiener, bauen dort ein Zelt auf und deponieren unsere Sachen.
Da unsere geplanten Abfahrtstermine (24./25.8.) zusammenfallen, sollte es keine Probleme geben. Einen Schlüssel für das Zelt behalte ich. Wir laufen wieder hoch zur Zwiebelwiese mit einem Abstecher nach Atschik Tasch, wo wir statt der versprochenen zwei Brote aber nur eins (für 1 Dollar) bekommen. Das Wechseln meines 5-Dollar-Scheins nimmt noch einige Zeit in Anspruch. Wieder oben auf der Wiese schultern wir die 30-kg-Rucksäcke und marschieren los. Steffen war schon vorausgegangen. Wegen der schweren Rucksäcke und der teilweise noch schlammigen Wege zum Paß der Reisenden ist es heute eine besondere Quälerei.
Am Fluß vor dem Übergang auf die Moräne wartet Steffen. Auch der Niederländer, der uns auf dem Weg zum Paß eingeholt hatte, ist da. Er, Steffen und ich marschieren nach einer kurzen Pause bald weiter. Yeti und Gerold brauchen noch etwas mehr Erholung, da vor allem Gerold wieder Probleme mit den Füßen und dem Rucksackgewicht hat. Für alle Fälle hatten wir den beiden noch ein Zelt dagelassen.
Wir kommen zwar langsam, aber stetig voran und sind kurz nach 18 Uhr im Lager 1a. Steffen findet meine Armbanduhr, die ich bei unserem zweiten Aufstieg vor drei Tagen ­ offenbar beim Zeltabspannen ­ verloren hatte. Yeti und Gerold kommen eine Stunde später. Sie hatten ihre Rucksäcke erleichtert und etwa 15 kg am Fluß deponiert. Wir bauen nur noch ein (drittes) Zelt auf, da Steffen plant, unseren Stützpunkt morgen 500 m weiter ins Lager 1b zu verlegen. Das ersten Mal haben wir im Lager 1a am Abend schönes Wetter.

7.8.97 Lager 1a ­ 1b

Nach dem Frühstück ziehen wir los, um nach dem Lager 1b zu suchen, wo auch die Leute vom Summit-Club verschwunden sein müssen. Wir finden es und auch einen guten Lagerplatz dort. Wir beschließen also die Verlegung, auch aus Sicherheitsgründen: Der Gletschersee, über dem wir in Lager 1a gezeltet hatten, war ausgelaufen und hatte auf unserer Seite einen 3-m-Eisüberhang freigegeben. Außerdem ist vom Lager 1b aus der Weg zum Lager 2 direkter.
Wir laufen wieder zurück nach 1a. Steffen und Gerold verlagern die dort befindliche Ausrüstung ins Lager 1b, während Yeti und ich noch mal runter zum Fluß gehen, um die dort deponierte Lebensmittel zu holen. Als wir wieder oben waren, steht noch Yetis Zelt an unserem alten Lagerplatz. Wir packen unsere Rucksäcke voll ­ dann erscheint noch mal Gerold, und wir transportieren den Rest nach Lager 1b. Dort gibt es dann erst mal Tee und Abendbrot sowie ein Doppelpack Mousse au Chocolat. Ich bekomme das ganze Freßzeug zu mir ins Zelt.

8.8.97 Lager 1b

Heute machen wir eine Akklimatisationstour. Ziel ist ein Berg etwas nördlich vom Lager. Der Zugang über Gletscher, Moränenschutt und Gletscherabflüsse ging ganz gut. Die angepeilte Schneerinne wurde wegen vermuteter Steinschlaggefahr wieder verworfen, was sich später als richtig erweisen sollte. Statt dessen gingen wir über den Ostgrat, den wir über anstrengende Schutthänge erreichten. Steffen (ohne Rucksack) war schon nach oben entschwunden.
Am Ende des Fels-/Geröllgrates trafen wir uns dann wieder. Den folgenden Firnhang gehen zuerst Steffen und Yeti an ­ mir scheint er zu gefährlich (vom Schmelzwasser unterspült). Als die beiden nach einer Stunde wieder unten sind, berichten sie von einem schönen Aussichtsgipfel ("Pik IGW"), der sogar etwas höher als der Mont Blanc ist. Der höchste Gipfel im Grat war allerdings nicht erreichbar.
Gerold und ich starten dann auch noch mal. Der obere Teil vom Hang war unter dem dort dünnen Firn vereist und etwas heikel. Der höchste Punkt ist nach Norden überwächtet, so daß beim Gipfelfoto eine gewisse Vorsicht geboten war. Der Abstieg ging etwas direkter über die Schutthänge und vor allem wesentlich schneller.

9.8.97 Lager 1b

Heute wird vor allem geruht und Skat gespielt. Am Nachmittag sortieren wir die Lebensmittel für unseren ersten Aufstieg ins Lager 2 und packen die Rucksäcke für den nächsten Tag. Von unten kommen ein paar kirgisische Träger, von denen Steffen einen vom Vorjahr kennt. Wir vereinbaren mit ihm, daß er uns, wenn er das nächste Mal hochkommt, ein paar Brote mitbringt. Er hätte uns auch noch andere Sachen (aus dem Summit-Club-Lager) besorgt. Falls wir nicht da sind, schiebt er uns die Brote unters Zelt.

10.8.97 Lager 1b ­ Lager 2

Heute steigen wir das erste Mal direkt am Pik Lenin auf. Aus dem Zelt kommen wir erst 6.00 Uhr (eigentlich war 5.30 Uhr geplant) und frühstücken unser Müsli. Um 7.50 Uhr, nach dem Abbau von zwei Zelten und dem finalen Rucksackpacken geht es los. Nach einem Stück über den Lenin-Gletscher kommen wir an die
Nordwand.
Zuerst geht es über ein schwach ansteigendes aber spaltenreiches Gelände. Kurz vor der "Krawatte" (steilstes Stück am Pik-Lenin-Normalweg, etwa 50 m 40°) seilen wir uns an. Vorher war der Gletscher aper.
Nach der Krawatte geht es weniger steil weiter. Wir sind aber noch nicht voll akklimatisiert und werden immer langsamer. Das Lager 2 erreichen wir erst um 15.15 Uhr. Während Gerold und Yeti ausruhen, suchen Steffen und ich einen guten Platz für unsere zwei Zelte. Die besten Stellen auf dem Geröllsporn sind besetzt. Weiter unten auf dem Gletscher haben die Leute von Hauser und dem Summit-Club ihre Zelte aufgeschlagen. Ein Hauser-Zelt steht genau auf einer Spalte. Man warnt uns, daß die ganze Gegend spaltengefährdet sei. Die Zelte vom Summit-Club scheinen außerdem im Zielgebiet des Steinschlags zu liegen, zumindest, wenn größere Brocken runterkullern. Wir hacken zwei Plattformen aus dem Gletscher ­ oberhalb und unterhalb einer Geröllinsel, wo das Gelände relativ spaltenfrei erscheint und die Steine nicht hinkommen.
Durch die noch ungewohnte Höhe (5400 m) war diese Aktion recht anstrengend. Wir treffen hier auch wieder auf Jacek, der uns darüber aufklärt, daß die russischen Führer den Permit-Kontrolleuren zutragen (Wir haben auch nur ein Trekking-Permit, aber keines für den Gipfel). Er will später, wenn alle schlafen, zu einer Schneehöhle auf 5900 m aufsteigen. Nach Tee und Abendbrot geht es relativ schnell in den Schlafsack.

11.8.97 Lager 2

Morgens haben sich die Wolken vom Vorabend verzogen, und ab 7.00 Uhr kann die Sonne ins Lager scheinen. Abgesehen von leichten Kopfschmerzen geht es allen gut. Den Tag lang machen wir nicht viel, außer Skat spielen.
Das Wetter ist wie schon die letzten Tage: sonnig mit zunehmender Quellbewölkung am Abend. Nach dem Abendbrot (Kartoffelbrei, (Trocken-) Gemüse und Salami) und einigen Tees geht es relativ schnell (19.40 Uhr) ins Zelt, da es frisch zu werden beginnt (-4 ° C). In der Nacht wird der Wind stärker, und die Wolken verziehen sich. Als ich mal raus mußte, konnte ich einen prachtvollen Sternenhimmel betrachten.

12.8.97 Lager 2 ­ Lager 1b

Morgens ist der Himmel (zumindest lokal) immer noch klar, es ist aber auch immer noch windig. Am Gipfel und am Pik Rasdelnaja bilden sich Schneefahnen. So blasen wir unsere geplante Aktion ab, ins Lager 3 zu steigen und eine Schneehöhle zu graben. Nach dem Frühstück packen wir unsere Rucksäcke und steigen ins Lager 1b ab. Statt 7,5 h wie für den Aufstieg brauchen wir runterzu nur 2,5 h. Zwischendurch läßt Yeti bei einer Rast seine Trinkflasche los, die dann über den Hang in eine Gletscherspalte rollt. Wir starten ein Bergungsmanöver, wobei Yeti seine Flasche von einer Schneebrücke in der Spalte retten kann. Wir sichern ihn über "Toten Mann" und Prusikschlingen.
Den Nachmittag im zur Zeit fast ausgestorbenen Lager verbringen wir mit Ausruhen, Teetrinken bzw. Mittagessen. Das Wetter ist etwas unbeständig: Es gibt immer mehr Wolken, und es bleibt windig. Es ist aber hier bequemer als im Lager 2 auf unserm Geröllflecken.

13.8.97 Lager 1b

Als wir morgens aus dem Zelt schauen, ist der Himmel klar, und alles ist mit einer 5 cm-Schneeschicht bedeckt. Den Tag lassen wir wieder ruhig angehen. Als wir Skat spielen wollen, stellen wir fest, daß offenbar ein Blatt im Lager 2 und das andere auf der Zwiebelwiese geblieben sein muß. Also wird eine Kartoffelbrei-Umverpackung zerschnitten und ein neues gemalt. Da das Blatt etwas unhandlich war, fand das Mischen in einer Schlafsackhülle statt.
Wie an einem Ruhetag üblich, gibt es richtiges Mittag ­ heute Spaghetti mit Käsesoße. Am Nachmittag kommen ein paar Deutsche vorbei, die auf dem Gipfel waren. Sie ließen ein paar Tüten "Adventure-Lunch" bei uns, von denen sie zuviel hatten. Dann gehen wir zu einem Hügel am Lager und stellen das umgefallene Holzkreuz wieder auf. Danach spazieren wir noch ein bißchen in der Lagergegend herum und fotografieren einen Gletscherbruch. Später machen wir einen zweiten Fotospaziergang auf den Leningletscher, der viele fotogene Details hat.
Am Abend unterhalten wir uns noch mit ein paar Russen, die wohl alle auf dem Gipfel waren und nun wieder runter wollten. Vom Lager 3 zum Gipfel geben sie 5­8 h Gehzeit an. Bisher hatten alle, mit denen wir gesprochen hatten, im Lager 3 gezeltet. Die Russen meinten aber, daß da auch gute Möglichkeiten wären, Schneehöhlen zu graben. Steffen hatte mit seinem Begleiter im letzten Jahr eine Nothöhle auf dem Sattel benutzt.
Irgendwann kommen auch die kirgisischen Träger vorbei und bringen uns die gewünschten Fladenbrote. Heute hatten wir das beste Abendwetter seit langem, nur stand immer eine einzelne Wolke genau vor der Sonne. Der Schnee der letzten Nacht ist praktisch verschwunden.

14.8.97 Lager 1b

Steffen hatte sich noch einen Ruhetag erbeten, da es ihm gestern wohl wegen einer Erkältung nicht so gut ging. Wir verabschieden die Russen, die noch einige Sachen dalassen. Wir nehmen davon eine selbstgebastelte Schneesäge, die sich auch als Kocheruntersatz im Schnee verwenden läßt. Im Lager sind noch zwei andere Russen, die mit einem Eigenbauzelt auf 6400 m übernachtet hatten.
Während Gerold und ich das Frühstück für die Hochlager vorbereiten, machen Steffen und Yeti einen Ausflug auf einen benachbarten Schuttgrat.

15.8.97 Lager 1b ­ Lager 2

Heute ziehen wir endgültig ins Lager 2 und sind entsprechend bepackt. Trotzdem sind wir schneller als das letzte Mal: Wir brauchen etwa 6 h. Oben ist die Plattform von Steffens Zelt teilweise weggetaut. Wir entschließen uns, den Standort zu verlagern, denn auf dem Geröllsporn ist wieder Platz. Dort bauen wir das Zelt wieder auf und verankern es mit 4 Eisschrauben, da einige Zentimeter unter dem Schotter das Blankeis ansteht. Es treffen auch einige Hauser-Leute ein, die das Spaltenloch direkt neben dem Zelt begutachten (das aber offenbar nur als Materialzelt genutzt wird).


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