Tagebuch Pik Lenin 2000

Teil 4

20.8.00 Osch

Wir stehen um 730 Uhr auf, damit Wolodja vor seiner Abfahrt um 1000 Uhr noch etwas frühstücken kann. Auf dem Basar essen wir eine kleine Schale Lagman (gerade richtig für meinen Magen) und gehen noch etwas durch den angrenzenden Park spazieren. Der Basar selbst ist noch in morgendlicher Aufbruchsstimmung. Im Park weiden Kühe, Schafe und Gänse. Zurück im Hotel schaffen wir Wolodjas Sachen ins Foyer. Ich schenke ihm noch meine alte Isomatte, da er auf seiner eigenen recht stark gefroren haben muß. Der grüne Wolga kommt fast pünktlich - sonst hätten wir noch mal zum Basar gehen müssen.

Nach Wolodjas Abreise besuche ich noch mal den Basar und „freue mich über die vielen Dinge, die ich nicht brauche" (Sokrates). Dann mache ich einen kleinen Stadtrundgang. Die Gegend um das Stadion, wo unsere "Tourbasa" von vor drei Jahren liegt, scheint sich baulich etwas verbessert zu haben. Das Personal der Touristenherberge selbst läßt sich nicht blicken, aber dort scheint alles beim alten geblieben zu sein.

Wieder im Hotel halte ich eine kleine Siesta und mache mich dann auf die Suche nach einem verspäteten Mittag. Gegenüber vom Hotel, wo wir schon gestern abend waren, esse ich dann Schaschlyk mit Brot und Tee. Der Schaschlykbrater erkennt mich wieder und fragt, wo meine Freunde geblieben sind. Später mache ich noch einen weiteren Gang in die Stadt. Das Internet-Café an der nächsten Straßenecke ist geschlossen, da am Telefonnetz gearbeitet wird. Es soll eine neue Vermittlungsstation in Betrieb genommen werden. An der Universität herrscht eine feierliche Atmosphäre. Offenbar werden die Ergebnisse der Aufnahmeprüfungen bekanntgegeben. Ich besteige dann noch mal Salomons Thron, einen etwa 150 m hohen Kalkberg und moslemisches Heiligtum, von dem man einen guten Blick über die Stadt hat. An seinem Fuß finden (u.a. von der deutschen GTZ gesponsorte) Ausgrabungen statt.

21.8.00 Osch

Zum Frühstück gehe ich wieder in das Open-Air-Restaurant gegenüber dem Hotel. Es gibt Mastaba (Reissuppe) mit Brot und Tee. Das Internet-Café arbeitet immer noch nicht, aber in einer Stunde soll es soweit sein. Da mich Witali um 1200 Uhr abholen soll, kann ich mir das vielleicht schenken - er hat zu Hause einen Computer. Außerdem kann Robert dann selbst seine Meldung in die Heimat durchgeben.

Um 1230 Uhr ist Witali aber immer noch nicht da. Ich sitze nun schon eine Weile im Foyer, da ich bis 1200 Uhr das Zimmer räumen mußte. Etwas später melde ich mich kurz zum Mittagessen ab - wieder Schaschlyk gegenüber dem Hotel. Als danach Witali immer noch nicht da ist marschiere ich selbst los. Das Gepäck, das das Hotelpersonal schon während meiner Abwesenheit über Mittag in eine sicherere Ecke gestellt hatte, bleibt auch erst mal dort. Eine Telefonnummer von Witali habe ich zwar, aber das Telefon funktioniert auch im Hotel immer noch nicht.

Am Basar werde ich erst mal von der Miliz kontrolliert - oder von wem auch immer (eine Person in Zivil schien viel zu sagen zu haben). Ich muß alle Taschen ausräumen. Es scheint aber alles in Ordnung zu sein, und ich darf wieder gehen. Sie erzählen mir noch was von moslemischen Banditen. Scheinbar ist es zu ähnlichen Geschehnissen wie im letzen Jahr gekommen, wo schon mal Freischärler aus Tadshikistan eingedrungen sind und Geiseln genommen haben. Man erklärt mir noch die Busverbindung zu Witali, aber ich will lieber laufen. Es ist allerdings ein ziemlich weites Stück in Richtung Südosten. Dreimal frage ich nach dem Weg, bin aber richtig. Witali ist zu Hause, und wir fahren auch gleich zum Hotel das Gepäck abholen. Dabei schimpft er auf Marat, weil er mich nicht gleich zu ihm, sondern in ein (billigeres) Hotel gebracht hat. Es war wohl doch nicht ausgemacht, daß er mich abholt. Marat wollte um 1200 Uhr wieder in Osch sein und mich direkt am Hotel aufsammeln.

Wieder bei Witali warte ich bei Tee und Obst auf die anderen und schreibe Tagebuch. Obwohl 1200 Uhr eine unwahrscheinlich frühe Ankunftszeit ist, beginne ich mir Gedanken zu machen. Das Abendbrot mit Suppe und gefüllten Paprikaschoten ist lecker. Später esse ich mit Witali Honigmelone und setze mit Hilfe seines älteren Sohnes zwei Emails ab. Wahrscheinlich funktionieren nur bestimmte Telefonnummerngruppen nicht, und Witali hat Glück. In den Fernsehnachrichten kommen die neuesten Meldungen über das gesunkene Atom-U-Boot.

Ich gehe dann schlafen, da ich Marat und die anderen erst später in der Nacht oder am Morgen erwarte, da sie sicher nicht bei den hohen nachmittäglichen Wasserständen losfahren. Nach einer Stunde kommt ein Auto, aber es ist nur Witali, der am Abend noch mal weggefahren war. Wenig später kommt dann aber tatsächlich Marats Niva! Es sind alle dabei. Holger und Gunther haben, wie sie geplant hatten, nach einem Ruhetag im Lager 3 den Gipfel erreicht. Beim Abstieg sind sie aber weit in die Nacht geraten, und Holger hat leichte Erfrierungen an 2-3 Fingerkuppen. Er will deshalb, entgegen seinen ursprünglichen Planungen, mit uns zurückfliegen und vorher in Almaty einen Spezialarzt besuchen. Es gibt nach Mitternacht noch mal das Mittagsmenü, und ich esse auch noch mal mit.

22.8.00 Osch - Bischkek

Wir stehen gegen 700 Uhr auf, da unser Flug nach Bischkek schon um 950 Uhr losgeht. Es gibt ein opulentes Frühstück mit Spiegelei, Würstchen und frittiertem Weißbrot. Dann fährt uns Witali zum Flugplatz. Für den Basar bleibt keine Zeit mehr. Marat wird die etwa 1000 km nach Almaty mit seinem Niva zurücklegen und dabei Tanja und unser schweres Gepäck mitnehmen.

Am Flugplatz sind wir etwas spät, aber es geht alles seinen Gang. Wir fliegen mit einer aufgestuhlten Variante einer JAK 40 mit Sitzen auch im fensterlosen Heck, wo auf der anderen Seite das Gepäck lagert. In Bischkek angekommen lassen wir die Taxifahrer stehen und fahren mit dem im "Lonely Planet" angegebenen Bus in die Stadt. Einige Insassen helfen uns, die kasachische Botschaft zu finden, wo Holger sein Visum umbuchen lassen will. Einer führt uns sogar hin. Es ist aber inzwischen Mittag, und die Visaabteilung macht erst übermorgen wieder auf. Ein Posten vor der Botschaft gibt uns eine Telefonnummer, als wir ihn etwas theatralisch auf den Ernst von Holgers Situation hinweisen. Dann gehen wir erst mal Mittagessen (Mantis, Schaschlyk), da wir erst ab 1400 Uhr anrufen sollen.

Auf der Suche nach einer Telefonzelle laufen wir erst mal der Miliz in die Hände, die uns wieder auseinandernimmt. Unser großes Gepäck ist zum Glück bei Marat im Niva. Es geht alles klar, und jetzt wissen wir, daß unsere Papiere vollständig sind. Das Telefonieren verläuft nicht erfolgreich - es ist immer besetzt. Wir fahren dann mit einem Taxi zur Reiseagentur "Edelweiß", die uns auch die OVIR-Registrierung besorgt und uns bei unserem Aufenthalt in Bischkek auf der Hinfahrt betreut hatte. Sie helfen uns auch, indem Slava, der Chef, für Holger einen Termin beim kasachischen Konsul für heute Abend besorgt.

Im Kaufhaus "ZUM" lassen sich Gunther und Holger beim Friseur die Barthaare scheren - angeblich der Anlaß, weswegen wir immer wieder kontrolliert werden. Bartträger sind in Kirgisien im Gegensatz zu Afghanistan wenig verbreitet. Nach drei Wochen Pik Lenin sind wir aber alle welche.

Dann geht Holger zu seinem Termin, und wir restlichen bummeln noch etwas durch die Stadt. In einem Straßencafé trinken wir Kaffee und lesen in einem Werbeexemplar der "Times of Central Asia" über die Ereignisse in der Batken-Region. Unter anderem sind dort auch acht deutsche Bergsteiger entführt und von der kirgisischen Armee wieder freigeschossen worden.

Später besuchen wir noch ein Internet-Café. Das hat sogar eine "richtige" Toilette, die ich auch nutzen muß, da sich inzwischen auch bei mir ein Durchfall entwickelt hat. Ich bin der letzte, der noch keinen hatte. Eine Stunde online-Zeit kostet 80 Som (ca. 1,6 Dollar), nachts die Hälfte. Nach dem Absetzten einiger Emails eilen wir zum Hotel "Semetey", wo Holger schon auf uns wartet. Er berichtet, daß er wenig erreicht hat. Der Botschaftsmitarbeiter hatte wohl keine besondere Arbeitslust mehr. Holger wird sich morgen weiter kümmern, und auch in Bischkek mal zum Arzt gehen.

Abends, nach dem Einchecken im Hotel, gehen wir noch mal auf ein Abschiedsessen los, da wir ohne Holger nach Almaty und wahrscheinlich auch nach Hause fahren werden. Die Nacht wird etwas unangenehm - wegen des Durchfalls, aber vor allem wegen der vielen Mücken.

23.8.00 Bischkek - Almaty

Da uns das Geld ausgegangen ist machen wir uns vor dem Frühstück auf die Suche nach einer Geldwechselstelle. So früh (vor 830 Uhr) hat aber noch nichts auf. Daraufhin verabschieden wir uns von Holger und fahren mit einem "Marschrutka" (Richtungstaxi) zum Busbahnhof. Dort handeln wir mit einem privaten Fahrer einen Preis von 10 Dollar aus. Dazu muß er aber noch einen vierten Fahrgast finden. Das zieht sich etwas in die Länge, aber schließlich kommt er mit einer Frau zurück. Gegen 930 Uhr geht es los. Der Fahrer fährt ein gemäßigtes Tempo, so daß wir doch einige Zeit für die 240 km bis Almaty brauchen.

Hinter Bischkek kommen wir relativ bald an die Grenze nach Kasachstan. Dort werden wir von den kasachischen Grenzposten kontrolliert, und man will uns erst zurückschicken. Zuerst hat man eine fehlende Registrierung bei unserem ersten Transitaufenthalt bemängelt - diese ist aber auch nicht vorgeschrieben und unsere Visa sind in Ordnung. Aber unsere OVIR-Registrierung für Kirgisistan war gestern abgelaufen. Diese ist danach aber noch 72 Stunden gültig, was wir aber zu dem Zeitpunkt noch nicht wissen. Warum das die Kasachen interessiert ist sowieso die Frage. Erst sollen wir nach Bischkek zurückfahren bzw. "Straff" bezahlen, dann bemerken wir auf unserem Passierschein für das Alaital, daß dieser bis 29.8. gültig ist. Damit kommen wir dann durch.

Eine Pause wegen der klappernden Heckscheibe im Audi nutze ich, um in der Steppe etwas Druck abzulassen. In Almaty angekommen lotst uns Gunther etwas nach Süden - in Richtung von Marats Haus in der Siedlung "Krasnij Wostok". Nachdem wir das Taxi bezahlt haben trennen wir uns, denn Robert und Gunther wollen noch mal in die Stadt - ich in die Nähe einer Toilette. Nach Gunthers Angaben schlage ich mich zu Marat durch, muß aber trotzdem noch nach dem Weg fragen. Ein Marschrutka bringt mich ans Ziel. Bis zu Marats Haus sind es zwar nur ein paar Minuten, aber das reicht der Miliz, mich noch mal zu kontrollieren.

Marat ist zu Hause, wie an seinem Niva unschwer zu erkennen ist. Allerdings ist er noch nicht lange da - er hatte gerade mal 2 Stunden Vorsprung. Für die Strecke von Osch nach Almaty hat er etwa 24 Stunden gebraucht und dabei 2 Stunden geschlafen. Außerdem sind 6 (Ex-)Pfadfinder hauptsächlich aus Rostock da. Sie haben in Marats Garten ein großes Zelt aufgebaut und wollen eine Tour in den Transili-Alatau machen. Irgendwie müssen sie von Tovo aus Jena eine Routenempfehlung bekommen haben. Wir haben dort im letzten Jahr unsere Eingehtour für den Khan Tengri gemacht.

Marats Mutter macht mir erst mal eine Tütensuppe, und ich stoße mit Marat mit Kognak auf unsere gelungene Tour an. Dann geht Marat eine Runde schlafen, und ich schreibe Tagebuch. Draußen fängt es an zu gewittern. Nach einem Blitz fällt die Stromversorgung aus. Das Wasser war vorher schon weg, so daß Regenwasser in einer leeren Expeditionstonne aufgefangen wird. Der Strom kommt aber nach einer Stunde wieder.

Als Gunther und Robert da sind - es gewittert weiter - wird richtig Abendbrot gegessen. Aus Bischkek kommt die Meldung, daß das mit Holgers Fingern nicht so schlimm sei. Er war beim Arzt und wird jetzt wohl seinem ursprünglichem Plan folgen und noch etwas Kirgisien unsicher machen.

Später packen wir unsere Rucksäcke, da wir noch nachts zum Flugplatz fahren werden. Dann versammeln wir uns im Zelt der Pfadfinder, wo die Mädels (einen Quotenjungen haben sie mit) und Marat abwechselnd Lieder zum Besten geben. Als sie schlafen gehen wollen, ziehen wir uns wieder in die Küche zurück. Dort unterhalten wir uns noch eine Weile mit Marat, bis wir den Niva mit unserem Gepäck beladen und zum Flugplatz fahren. Das Auto hat nur noch ein Fern- und ein Abblendlicht und klappert ganz schön. Marat wollte die fällige Durchsicht aber nicht den Kirgisen überlassen.

24.8.00 Almaty - St. Petersburg - Berlin

Die Abflughalle ist wieder gesteckt voll, aber Marat lotst uns irgendwie an der Zollkontrolle vorbei. Dann verabschieden wir uns von ihm. Am Gepäckschalter erweist sich, daß wir immer noch einiges an Zusatzgewicht haben. Wir sollen 80 Dollar bezahlen, aber der Angestellte hinter dem Schalter flüstert uns zu, daß es nur 60 Dollar wären, wenn wir es bei ihm direkt bezahlen würden. Das machen wir dann auch so. Der Abflug zögert sich dann noch eine halbe Stunde heraus, dann geht es los. Die Lautsprecheransagen sind kaum zu verstehen, und es werden mehrere Maschinen quasi gleichzeitig abgefertigt. So frage ich vorsichtshalber, ob ich im richtigen Flugzeug sitze. Es werden aber sicher nicht so viele Pulkovo-Flieger zur gleichen Zeit starten, und wenn, dann alle nach St. Petersburg,dem Heimatflughafen. Der Flug ist ganz angenehm - ich kann gut schlafen. In St. Petersburg regeln wir unseren Transit auf die bewährte Weise. Der Stempel der Paßkontrolle auf der Bordkarte fehlt wieder, was aber diesmal kein Problem darstellt. Wir seien ja im Transit. Im letzten Jahr hatte sich der Start um 20 Minuten verzögert, weil die Paßkontrolle persönlich noch mal an Bord gekommen ist.

Die Maschine startet diesmal pünktlich, und so sind wir nach zwei Stunden am frühen Vormittag in Berlin. Die Paßkontrolle bei der Einreise zögert sich etwas hinaus, weil vor uns viele "Problemkinder" mit (zu) viel Bargeld, ohne Visum oder sonstigem ins Land wollen. Mit dem Zug fahren wir bis Friedrichstraße und von dort aus weiter mit der Straßenbahn zu Gunther.

Erst mal machen wir uns frisch, dann müssen wir ein Problem lösen: Robert hat aufgrund eines Übermittlungsfehlers sein Ticket nach Amsterdam erst für Übermorgen gebucht, will aber so schnell wie möglich nach Hause. Das Ticket versucht Gunther übers Internet an den Mann zu bringen. In einer Mitfahrzentrale werden wir auch fündig, und nach dem Mittagessen in einer Pizzeria fahre ich Robert mit dem Auto zum Treffpunkt. Dort warten wir über eine halbe Stunde auf einen Golffahrer, der es dann aber ablehnt, das viele Gepäck mitzunehmen. Die Skier hatten wir schon nicht ernsthaft in Erwägung gezogen. Er hat es nicht mal probiert, auch wenn es noch einen weiteren Mitfahrer gibt. Wir fahren dann zu Gunther zurück, den wir leider aus dem Schlaf reißen. In der Zwischenzeit ist eine Email von Marat angekommen, in der er uns mitteilt, daß Holgers Flugticket gestohlen worden ist. Gunther ruft bei der Pulkovo-Fluggesellschaft an, wo man offenbar schon Bescheid weiß. Das verlorengegangene Ticket scheint aber kein größeres Problem zu sein. Robert und Gunther gehen abends noch mal weg, während ich mein Schlafdefizit ausgleiche.

25.8.00 Berlin - Jena

Morgens um halb fünf wache ich auf. In der Küche brennt Licht, und ich bin in Gunthers Wohnung immer noch allein. Wahrscheinlich schlafen die beiden in der Nachbarwohnung. Später kommen sie tatsächlich rüber, und wir frühstücken frische Brötchen. Dann fahre ich mit Robert noch mal zu einer zweiten Mitfahroption. An der vereinbarten S-Bahnstation kommen wir pünktlich an, und das Auto in die Niederlande ist auch schon da. Der Fahrer sieht das mit dem Gepäck nicht so eng. Außerdem ist es ein Kleinbus. Wir können das gesamte Gepäck - einschließlich der Skier - verladen. Dann fahren wir beide in unsere Richtungen nach Hause.


Teil 3
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