Tagebuch Pik Lenin 2000

Teil 2

6.8.00 Basislager

Die Gewitterwolken vom Vorabend haben sich wieder verzogen, allerdings zeigt sich über den hohen Gipfeln eine fönartige Bewölkung. Unser Parallelteam scheint einen weiteren Schwund hinnehmen zu müssen: Peter ist krank (mit Fieber und hohem Blutdruck) und reist möglicherweise auch ab. Ein Arzt war schon da.

Zum Frühstück gibt es Nudelsuppe und Kuchen, den Tanja mit Zuckermilch verfeinert hat - es ist Sonntag. danach hängen wir etwas in der Sonne ab oder unterhalten uns mit den Kirgisen (Dunja u.a.). Am Nachmittag zieht es sich wieder zu und gewittert leicht. Tanja hat ein leckeres Mittagessen mit Suppe, belegten Broten und Morskaja Kapusta zubereitet. Nach dem gestrigen Ayran probieren wir heute Kumys (vergorene Stutenmilch, das Nomadenbier).

Am späteren Nachmittag wird das Wetter wieder schön, nur über dem Alai im Norden hängen schwere Wolken. Aber auch am Pik Lenin gibt es Zirruswolken.

Später habe ich dann ein Problem: Beim Gummibärchenessen beiße ich mir ein halbes Inlay raus. Schmerzen bekomme ich zwar nicht, aber ich möchte auch nicht am Berg ausprobieren, wie lange das so bleibt. Abends kommt Marat aus Osch zurück und zeigt sich ob der neuerlichen Probleme erstaunlich gelassen. Nach einigen Überlegungen wird entschieden, daß Marat Peter und mich erst mal ins Alaital fährt, um dort einen Arzt zu suchen. Die anderen werden ins Lager 1 aufsteigen. Nachts wird das Wetter wieder schlecht, und es regnet.

7.8.00 Basislager - Kaschka-Su - Daraut-Kurgan - Kaschka-Su

Heute hat auch Robert ein neues Problem: Sein Husten hört sich komisch an, und er wird uns ins Alaital begleiten. Peter geht es besser, und er entwickelt auch wieder Appetit. Nachdem Marat die Gesunden + Peter (vergebliche Arztsuche im Usbekenlager) zur Zwiebelwiese gebracht hat, fahren wir (Marat, Peter, Robert und ich) mit dem Niva runter ins Alaital. In Kaschka-Su gibt es zwar einen Arzt, aber der ist nicht da. Die Krankenschwester mißt erst mal bei allen den Blutdruck. Da der Arzt auch weiterhin nicht kommt, fahren wir weiter das Alaital runter nach Daraut-Kurgan. Beim Wenden mit dem Niva in einem Zug pflügt Marat mit der Stoßstange erst mal den Bürgersteig um. In der dortigen Poliklinik wird mein Zahnloch mit einer provisorischen Füllung versehen, die dann auch den Rest der Tour halten sollte. Peter scheint wie Steffen vor drei Jahren eine durch die Höhe verschlimmerte Erkältung zu haben. Bei Robert ist die Sache etwas undurchsichtig. Er soll drei Tage zur Beobachtung dableiben, was er aber ablehnt. Auf alle Fälle bekommt er Antibiotika. Marat geht los, um die entsprechenden Medikamente zu besorgen. In der Zwischenzeit warten wir vor der Poliklinik und unterhalten uns mit Soldaten, die etwas von Banditen aus Tadshikistan erzählen. Im letzten Jahr hatte es in der Tat solche Übergriffe gegeben. Die Vorfälle in diesem Jahr werden in einer knappen Woche beginnen, wovon wir am Berg aber nichts mitbekommen.

In Daraut-Kurgan trifft Marat auch den Arzt aus Kaschka-Su, auf den wir am Morgen vergeblich gewartet hatten. Er und Marat sind befreundet, und wir nehmen ihn die 40 km mit zurück. 15 km vor Kaschka-Su hat der Niva eine Panne: Auf der Waschbrettpiste ist ein Haltebolzen vom Verteilergetriebe gebrochen. Wir können nur im ersten Gang weiterfahren. Nach einer Weile trampt der Arzt mit einem LKW weiter und holt Hilfe. Eine Stunde später kommt ein SIL, der uns nach Kaschka-Su in eine Werkstatt schleppt. Während sich Marat um die Reparatur kümmert, werden wir vom Arzt eingeladen. Es gibt Tee und frisches Brot mit Butter. Ich spiele den Dolmetscher zwischen Russisch und Englisch. Zwischendurch muß ich Aufnahmen von der Familie bzw. der lokalen Teppichmanufaktur machen. Die Reparatur zieht sich hin, und wir besuchen Marat in der Werkstatt. Das Auto wird heute nicht mehr fertig, und so gehen wir alle zum Arzt zurück, der uns für die Nacht beherbergt.

8.8.00 Kaschka-Su - Basislager

Gegen 800 Uhr stehen wir auf, und es gibt zum Frühstück Brühe mit Kartoffeln und Fleisch. In der Werkstatt geht es auch bald weiter, aber zunächst muß die Bohrmaschine repariert werden, deren Schleifkohlen keinen Kontakt mehr haben. Schließlich wird mit einer zweiten Bohrmaschine weitergearbeitet. Marat will anstelle der alten eine neue Schraube in ein größeres Loch mit Gewinde setzen. Die fehlende Verlängerungsschnur ersetzt ein stärkeres Kabel ohne Stecker. Anscheinend mißtraut man trotzdem der Elektrik, denn nach jedem Arbeitsgang werden die Geräte penibel vom Netz getrennt.

Es wird schon wieder Mittag, und so besorgt uns Marat eine Fahrgelegenheit ins Lager. Der Arzt gibt uns noch ein Meßgerät mit, damit wir auch oben den Blutdruck messen können. Dann fahren wir mit einem geländegängigen Kleinbus zurück. Im Basislager angekommen mache ich noch schnell ein Erinnerungsfoto von den Mitfahrern - für zwei Kinder war es mal ein Ausflug. Dann fahren sie relativ schnell zurück, um nicht wegen hohem Wasserstand in den Flüssen Probleme zu bekommen. Immerhin ist der Nachmittag schon fortgeschritten. Tanja macht ein leckeres Mittagessen, das Robert wegen starker Kopfschmerzen leider nicht so richtig genießen kann. Dann ruhen wir uns aus, und bei einem Schläfchen lassen auch Roberts Kopfschmerzen nach.

Am Nachmittag wird das Wetter wieder schlechter, und es regnet zeitweise. Der Alai, der gestern noch wolkenverhangen war, ist aber weitgehend frei. Gegen 1900 Uhr, nach dem Abendbrot, bricht Peter noch mal zum Usbekenlager auf der Zwiebelwiese auf, um mit seiner Freundin übers Satellitentelefon zu sprechen. Wir sind leicht in Sorge, weil er nicht ganz gesund ist und allein gehen will. Kurz vor 2100 Uhr - es fängt gerade wieder an zu regnen, kommt er wieder (getrampt). Er hat oben auch wieder den Arzt besucht, der meinte, daß hoher Blutdruck in der Höhe normal sei. Er selbst habe auch immer 160-170 in den Bergen. Daraufhin beschließt Peter, daß er gesund ist. Um 2130 Uhr gehen wir schlafen, nachdem wir noch Tanja unterrichtet haben. Marat ist noch nicht da, er kommt aber gegen 2200 Uhr.

9.8.00 Basislager - Lager 1

Nachdem Peter und Robert zu dem Schluß gekommen waren, daß ihre gesundheitlichen Probleme doch nicht so tragisch sind, starten wir heute ins Lager 1 zu dritt. Marat erzählt noch, daß 5 Minuten nach unserer Abfahrt aus Kaschka-Su die Arbeit am Niva durch einen neuen Bohrer schwer an Produktivität gewann. Ansonsten will er auch mal aufsteigen - mindestens bis ins Lager 1. Heute hat er aber noch was vor, so daß er es morgen probieren will. Dafür fährt er uns wieder zur Zwiebelwiese. Um 1050 Uhr starten wir mit leichteren Rucksäcken als das erste Mal. Nach einer Dreiviertelstunde sind wir am Paß der Reisenden, wo wir uns aber nicht lange aufhalten. Nach dem Übergang auf den Lenin-Gletscher machen wir eine kurze Pause und laufen danach ins Lager 1 durch. Peter bleibt im unteren Lager, während Robert und ich ins obere weitergehen. Holger und Gunther müßten sich im Lager 2 oder 3 aufhalten, und Magnus will mit Wolodja zum Gipfel. Die Schweden fahren früher ab und haben somit weniger Zeit.

Das Wetter ist durchwachsen, und es fängt an zu graupeln, als wir Gunthers Zelt beziehen. Roberts VE25 ist von den Italienern bewohnt, dafür benutzen Gunther und Robert ihr Zelt im Lager 2. Gunther und Holger haben uns die Nachricht hinterlassen, daß sie gestern ins Lager 2 aufgestiegen sind und heute ins Lager 3 wollen. Mein Zelt benutzen Wolodja und Magnus vereinbarungsgemäß für das Lager 3. Das zweite Zelt für das Lager 2 dürfen wir aber morgen selbst hochschleppen. Das Wetter bleibt schlecht, und nach einem Graupelgewitter fängt es an, richtig zu schneien. Der Italiener bringt uns eine Thermosflasche heißes Wasser aus der IMC-Küche vorbei. Dann kochen wir uns noch ein Abendbrot.

10.8.00 Lager 1 - Lager 2

Am Morgen hat sich das Schlechtwetter verzogen, und es sind 10 cm Schnee gefallen. Nach einigem Hin und Her entschließen wir uns aufzusteigen. Relativ spät, um 1040 Uhr, geht es los - Robert mit Skiern und ich zu Fuß.

Bis zur "Krawatte" (steilstes Stück auf dem Weg zum Lager 2, etwa 70 m um die 45 Grad) gehen wir seilfrei. Im obersten, steilsten Stück hängt ein Fixseil, das sich auch über das folgende, spaltenreiche Gelände fortsetzt. Über einer breiteren Spalte liegt eine Leiter. Danach schließe ich mich einer Zweierseilschaft von Trägern an, die Ausrüstung für faule Hauser-Kunden nach oben schleppen. Ich mache den ersten. Sascha, der ganz hinten geht, scheint ein Neuling zu sein und ist konditionell etwas überfordert. Ich wäre aber auch nicht viel schneller gewesen. Dazu kommt, daß es recht warm ist, und der Schnee tief und weich ist. Auf dem Weg treffen wir Holger und Gunther. Holger schießt auf Skiern vorbei. Gunther erzählt, daß sie nach der ersten Nacht im Lager 2 in einer Schneehöhle weiter oben geschlafen haben, um das Schlechtwetter auszusitzen.

Das Lager 2 erreichen wir erst gegen 1900 Uhr, als die Sonne schon weg war. Robert mußte eineinhalb Stunden warten und konnte auch nichts warm machen, da ich den Kocher im Rucksack habe. Das Zelt hat er auch dem Geröllsporn aufgebaut - dem besten Platz. Das Wetter ist so schön wie lange nicht und bleibt es auch.

11.8.00 Lager 2 - Pik Rasdelnaja - Lager 1

Wir stehen auf, als die Sonne aufs Zelt scheint. In der Nacht hatte ich wie schon vorher im Lager 1 wieder leichte Kopfschmerzen, gegen die ich schon prophylaktisch eine Aspirin genommen hatte. Wir entschließen uns, weiter aufzusteigen. Durch die noch ungewohnte Höhe sind wir aber nicht besonders schnell. Vor dem Aufschwung zum Pik Rasdelnaja beraten wir. Die Rucksäcke sind schwer, und Robert ist durch seine Antibiotika auch nicht in Hochform. Wir lassen die Rucksäcke auf einer Geröllinsel liegen und gehen den Rasdelnaja-Anstieg an. Dort sind im oberen Teil keine Spuren erkennbar, und im unteren hält sich schon seit längerer Zeit eine Dreierseilschaft auf. Bis dahin wollen wir es wenigstens probieren. Es hat eine Menge Triebschnee gegeben, und die drei Leute von Hauser hatten keine Lust mehr, weiter zu spuren. Das übernimmt dann Robert. Ich komme irgendwann hinterher. Kurz unterhalb des Gipfels quert der Weg nach links zum Lager 3. Von dort ist auch inzwischen jemand auf dem Abstieg. Robert und ich steigen weiter die letzten Meter zum Gipfel, und so komme ich zu meinem ersten 6000er (Pik Rasdelnaja, 6148 m).

Nach dem Abstieg zum Rucksackdepot fühlt sich Robert nicht mehr so gut und meint, daß wir heute noch ins Lager 1 absteigen sollten. Gegen 1530 Uhr bin ich zurück im Lager 2 - Robert ist auf Skiern etwas schneller. Er hat schon eine französische Seilschaft angesprochen, an die ich mich auf dem Abstieg ins Lager 1 anschließen kann. Außerdem treffen wir im Lager 2 Peter. Er will zum Gipfel, wenn Magnus wieder runter kommt. Eigentlich sollte sie heute vom Lager 3 runter kommen. Marat sei noch nicht im Lager 1 gesichtet worden.

Ich steige mit den Franzosen ab und bin nach einem umständlichen Abseilmanöver an der Krawatte gegen 1900 Uhr wieder in Lager. Nach dem Abendbrot leisten wir uns den Luxus von zwei Flaschen Cola aus dem IMC-Lager (für 4 Dollar das Stück) und verziehen uns frühzeitig in die Zelte.

12.8.00 Lager 1

Wir schlafen aus und frühstücken ausgiebig. Hier im Lager 1 sind wir aus unserer Gruppe zu zweit, nachdem gestern nach Holger auch Gunther ins Basislager abgestiegen war. Wir beobachten ständig den Weg vom Lager 2 runter und warten auf Magnus, der nach seinem Gipfelversuch mit Wolodja einen Tag überfällig ist. Lange dauert die Ruhe aber nicht an, denn der DAV-Summit-Club naht mit 16 Leuten. Später kommt noch ein einzelner Däne (Sven), der alles selbst organisiert hat und mit dem Pferd aus dem Alaital ins Basislager aufgestiegen ist.

Am späteren Nachmittag, ich bin gerade dabei, meine Hose zu flicken, gibt es noch eine Überraschung: Magnus erscheint. Er war auf dem Gipfel, aber einen Tag später als geplant. Wolodja und er waren bei einem ersten Versuch auf 6400 m umgekehrt, weil sie sich nicht in Form fühlten. Mein Zelt scheint sich im Lager 3 zu bewähren: Es hat einen halben Meter Schnee ausgehalten, während andere Zelte zusammengebrochen sind. Wir unterhalten uns eine Weile zusammen mit Sven, bevor sich Magnus zu seinem Zelt im unteren Lager begibt.

Das Wetter scheint sich wieder zu verschlechtern: Es ziehen frühzeitig Wolken auf. Abends ist es stark bewölkt, und es krümelt leicht.


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